Duschvorgang ohne Duschvorhang

Perspektive ist wirklich was Feines. Ich hätte über diesen Artikel auch “Ficken ohne Kondom” schreiben können und wäre dem Thema keinen Deut näher gekommen. In diesem Sinne: Hefte raus – Klassenarbeit. Thema ist “Deutsche Blogkultur”.

Man stelle sich folgenden Vorgang vor. Eine Firma – nennen wir sie “Sony” – bastelt sich im Hamburger Hafen ein Hausboot ins Elbgestade und möchte, dass ein paar Leute dort ein neues Produkt dieser Firma testen – nennen wir es der Einfacheit halber “Playstation 3”. Diese Firma nun tritt, auf welchem Weg auch immer, an diese komische neue Internetkultur heran – Weblogs. Das ist neu, das ist hip. Sony bietet also dem RenĂ©, dem Nilz und dem McWinkel die Möglichkeit vier Tage lang auf dem Kahn bei Vollpension und gegen Zahlung von wohl ein paar Euro Taschengeld, die neue Playstation zu testen und wollen dann nichts weiter, als dass diese dann darüber schreiben sollen.

Und jetzt kommt die große Parabel, der Rückschluss zur Überschrift. Denn wie auch das Duschen ohne schützenden Vorhang oder eben GV ohne selbigen, so sind viele der Meinung, Bloggen ohne Unabhängigkeit ginge nicht. Don Alphonso, der Rächer der enterbten Graswurzeljournalisten Deutschlands, findet dafür gewohnt harte Worte:

Ich nehme Dir gern ab, dass Du es anders empfindest. Aber Du machst Dich 4 Tage zuu deren Werbekaschperl, und damit kann man immer fragen, ob Du das danach ernst meinst. Oder nur ein Stück käufliche PR bist, die jetzt gern wieder einen Schuss Credibility tanken möchte für die Dürreperiode bis zum nächsten Typen, der Dir für 4 Tage einen Monatslohn hinlegt.

Quelle: hier

Warum nur regt sich bei mir da immer der leise Verdacht, dass in solchen Momenten allen Top Bloggern, die vorher bei Kultursendungen ein und aus gingen und die neue Publikationsstrategie Blog hochhielten, hier einfach ihre eigenen Buzzwords auf die Füße fallen? Wenn sich nie jemand dagegen wehrt, Graswurzeljournalist genannt zu werden, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn eben jene Maßstäbe an das kreative Schaffen angelegt werden. Sicher, eine publizistische Verwantwortung trägt jeder, der ein Blog führt. Das gleiche gilt aber auch für eine Schülerzeitung. Und denen wird wohl kaum jemand ernsthaft vorhalten, sich durch einen Deal mit Sony zum käuflichen Medium zu machen.

Was also ist an privaten(!) Homepages anders, auf denen der jeweilige Autor persönliche(!!) Meinungen preisgibt? Da wird von Marken gesprochen, die mit solchen Aktionen kaputt gemacht werden. Manch einer ruft gar nach einer Leitfigur für die Blogszene in Deutschland. Was soll der Mumpitz? Wie ich eingangs erwähnte: Perspektive ist was Feines. Ändern wir doch mal die Perspektive weg von der manchmal arg selbstverliebten Eigenwahrnehmung der beteiligten Blogger. Was passiert da wirklich? Da sitzen drei Typen vier Tage lang im Hamburger Hafen und spielen eine verdammte Spielkonsole. Dafür kriegen sie Verpflegung und Geld und dürfen die Konsole anschliessend mit nach Hause nehmen. Danach schreiben diese drei Menschen dann über Ihre Erfahrungen. Das war es. Mehr ist nicht los. Ich gönne Ihnen den Spass und wünsche allen Beteiligten viel Vergnügen.

Werden diese Blogger dadurch unglaubwürdiger? Dafür muss man sie erstmal als glaubwürdig ansehen. Man kann nichts verlieren, was man nicht hat. Blogs sind eben keine unabhängigen Medien, in denen Meldungen und Meinungen als unbestechlich angesehen werden. Es sind, verdammt nochmal, private Seiten, auf denen der jeweilige Autor seine Meinung schreibt. Wie er sich diese Meinung gebildet hat, ist dabei mindestens genauso wichtig, wie meine eigene Rezeption derselben. Ist RenĂ© von nerdcore per se glaubwürdiger als Don Alphonso? Wohl kaum, denn Letzterem kann ich mit der gleichen Logik, mit der dieser nerdcore.de verdammt, vorwerfen, moralisch voreingenommen und daher seinem eigenen Anliegen gegenüber “käuflich” zu sein. Er ist es, der polarisierendes Bloggen in Deutschland erfunden hat. Wie kann ich seine Beiträge verwerten? Doch nur mit der gleichen kritischen Distanz wie alle anderen Blogeinträge in dieser großen Wolke Internet.
Blogs waren für mich nie ein Ersatz für die “herkömmlichen Medien”. Sie sind ein Quell an kreativer Energie, die interessante Menschen und deren Produkte zusammenführt. Und warum sollte ein solches interessantes Produkt nicht auch mal eine Playstation 3 sein. Ich behaupte einfach mal, dass jeder, der sich eine solche kaufen möchte, das auch ohne Blogeintrag auf nerdcore.de tun würde.

Und wenn bei diesem ach so großen Skandal so schöne Sachen wie das hier bei rumkommen, dann wünsche ich mir noch mehr Polarisierung und Polemik auf beiden Seiten. Großes Tennis ist es allemal. Und solange es die Leute zum Nachdenken bringt, war es das doch auch wert. Hey Sony, schiebt mal ein Angebot rüber!

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