Der freundliche Großkonzern von nebenan

Schonmal ein Video bei Youtube angeschaut? Ich schätze ca. 99,5% aller Internetnutzer werden auf diese Frage mit "Ja" antworten. Für diese überschaubare Anzahl Leute ist demnächst ein Stückchen Privatsphäre weniger im Netz vorhanden.

wired.com berichtet vom einem Urteil im Prozess Viacom gegen Google/Youtube. Viacom, die dem deutschen mündigen Fernsehzuschauer wohl am ehesten durch die gelegentliche Einbindung von "Musik" in Klingeltonwerbung auf MTV/Viva bekannt sein dürften, verklagte im März 2007 Youtube, da Viacom der Meinung war, dass auf Youtube Inhalte zu finden sein, an denen Viacom Urheberrechte hält.

Soweit so gewöhnlich. Das jetzt ergangene Urteil jedoch ist eher außergewöhnlich. Der Richterspruch (Vorsicht: PDF) verpflichtet Youtube dazu, Viacom sämtliche (vulgo: alle) Nutzungsdaten auszuhändigen, die seit dem Bestehen von Youtube aufgelaufen sind. Wer also schonmal auf Youtube ein Video angesehen hat, der landet jetzt als einer von Milliarden Logeinträgen in den Händen von Viacom. Die etwas abenteuerliche Argumentation, mit der Viacom an die Daten gelangte, lautet:

Viacom wants the data to prove that infringing material is more popular than user-created videos […]

Quelle: wired.com

Viacom will anhand der Logs nachweisen, dass urheberrechtlich geschütztes Material öfter gestreamt wird als Videos, die von den Nutzern von Youtube erstellt wurden. Dies soll als Grundlage für die weitere Argumentation in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren dienen, dass quasi Youtube nichts weiter ist als eine große böse Live-Tauschbörse, auf der im wesentlichen tonnenweise alte StarTrek Folgen angeschaut werden, ohne dass Viacom daran verdient (Paramount gehört zu Viacom).

Daher muss Youtube jetzt 4 Tera-Byte Logdaten in die Hände eines Konkurrenten geben. Gescheitert ist Viacom gerade mal mit dem Verlangen, Kopien aller "privat" markierten Videos zu erhalten sowie dem Ansinnen, Zugriff auf Youtubes Codebasis, also mithin deren Geschäftsgrundlage zu erhalten.

Nun bin ich kein großer Freund von Googles Datensammelwut und mein allgemeines Mitleid hält sich in Grenzen. Was dieser Vorgang jedoch für mich zeigt, ist, dass heutige Gerichte und ganz allgemein die Judikative "alter Schule" nicht dafür ausgelegt ist, in solchen Belangen entscheiden zu können. Denn ein Richter, der das Allerheiligste einer Firma, die Nutzungsdaten der User, mal eben einfach so an einen Konkurrenten herausgeben lässt, hat aus meiner Sicht nicht wirklich verstanden, was er da gerade angeordnet hat.

Für die Nutzer wird es herzlich egal sein, ob sie darauf vertrauen müssen, ob Google keinen Unsinn mit ihren Daten anstellt oder Viacom (Abgesehen davon, dass sich die Gefahr jetzt mal eben verdoppelt hat). Aber für Youtube ist dies ein herber Rückschlag. Kein Richter würde wohl auf die Idee kommen, von Haribo die Herausgabe der Verkaufsstatistik zu verlangen, weil ein anderer Fruchtgummihersteller der Meinung ist, dass die "Colorado" Mischung ursprünglich von ihnen stammt. Nun ist nicht alles, was hinkt, gleich ein Vergleich, aber so ähnlich absurd kommt mir die Viacom/Youtube-Sache vor.

Um es dem Richter im Stil einer der erfolgreichsten Viacom/MTV Shows zu sagen: Next!

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