Eigenhirntherapie

amazing randi at helsinki 2010 6Creative Commons License Bild: Idhren

In Mark Twains “Die Abenteuer des Huckleberry Finn” treffen Huckleberry Finn und Jim während ihrer Reise auf zwei Betrüger, genannt der Herzog und der König. Ihre adlige Abstammung ist nur eine von vielen Lügen, die sie während der im Buch beschriebenen Episoden auftischen. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit der Aufführung von schlechten Theaterstücken, mit denen sie die Einwohner kleinerer Städte um ihr Geld prellen. Sie sind eine literarische Verkörperung der legendären Schlangenölverkäufer des Wilden Westens, die von Ort zu Ort zogen und den ungebildeten Siedlern des Westens Schlangenöl als Heilmittel für alle denkbaren Krankheiten verkauften. Der Trick funktionierte, da die Betrüger zu dem Zeitpunkt, als ihre Opfer merkten, dass das Schlangenöl ihre Beschwerden natürlich nicht lindern konnte, längst über alle Berge waren.

Schon damals wird das “Geschäftsmodell” dieser Betrüger davon gestützt worden sein, dass jeder schon von der Tante eines entfernten Verwandten gehört hat, dass der Nachbar eines Schwagers seinen Blasenstein mit der Hilfe der Elixiere dieser reisenden Quacksalber geheilt hat. Solche Hörensagen-Geschichten, die aus vermeintlich vertraulichen Quellen stammen, sind integraler Bestandteil jedes langfristigen Betrugs, der darauf basiert, Leuten Geld aus den Taschen zu ziehen auf einem Gebiet, über das diese selber nicht viel wissen.

Heute in unserer modernen Gesellschaft, in der Jeder etliche Jahre Schuldbildung genossen hat, erscheinen uns solche Geschichten und die Opfer in ihnen mindestens naiv, wenn nicht gar dumm. Wie konnten Huckleberry und Jim solchen windigen Gesellen aufsitzen? Wer konnte je wirklich annehmen Schlangenöl bewirke irgendetwas im menschlichen Körper? Das passiert uns heute garantiert nicht mehr mit all unserem modernen Wissen. Nun, der Herr auf dem Foto da oben ist James Randi; einer der wohl bekanntesten Skeptiker der Welt und er erzählt bereitwillig jedem, der bereit ist zuzuhören, über die modernen Schlangenöle, die auch heute noch an gutgläubige Menschen verkauft werden mit dem Versprechen, so gut wie alle Krankheiten heilen zu können. Sie heißen eben heute nur anders.

Eines der Lieblingsthemen von Randi ist die Homöopathie. Auf dem Foto ist er gerade dabei, eine stattliche Anzahl von homöopathischen Schlaftabletten (Hauptwirkstoff laut Packung: Koffein) zu schlucken – weit mehr als die laut Packung verordnete maximale Dosis. Eine Demonstration der Wirkungslosigkeit mindestens des verwendeten Präparats, die Randi mittlerweile zu quasi jeder Gelegenheit wiederholt und vorzuführen bereit ist. Das angenehme dabei ist, dass Randi einer derjenigen ist, die völlig unaufgeregt und entspannt über die Wirkungslosigkeit der Homöopathie reden können. Eine Gabe, die nicht jedem heutzutage zuteil zu sein scheint.

Der Vorteil, den wir heute gegenüber Huckleberry Finn und den armen Seelen des Wilden Westens haben, ist einerseits, dass Huckleberry Finn eine erfundene Figur ist, so dass wir dank Mark Twain mehr Einsicht haben in die Betrügereien des vermeintlichen Adels und zum anderen sind all diese Geschichten lange her. Genug Zeit um die Behauptungen der Schlangenölverkäufer zu untersuchen und zu wissen, dass die Behauptungen nicht wahr waren. Diese Vorteile haben wir jedoch nicht, wenn es darum geht, Betrügereien gleicher Art zu erkennen, die uns als vermeintliche Wissenschaft begegnen. Wir haben keinen Mark Twain im Ohr, der uns die andere Seite zuflüstern kann, wenn unser Hausarzt uns das Wundermittel “völlig ohne Nebenwirkungen” empfiehlt. Wir wissen nichts über die ganzen bunten Verpackungen und wohlklingenden Namen, die unser Apotheker uns aufstapelt, wenn wir uns über die Kopfschmerzen beschweren, die uns das letzte Medikament bereitet hat.

Nicht hilfreich ist dabei, dass die modernen Verkäufer von modernen Schlangenölen ebenfalls dazu gelernt haben. Sie sind organisiert – sie haben Lobbies in der Politik, sie haben Geld. Es gibt keine Sheriffs, die aufgeflogene Betrüger aus der Stadt jagen (im günstigsten Fall). Wir sind selbstverantwortlich, weil wir jahrelang dafür gekämpft haben in einer individuellen Gesellschaft leben zu dürfen. Mit dieser Freiheit entsteht jedoch auch die persönliche Verantwortung, sich zu informieren. Die Unmöglichkeit sich über alles, was in unserer modernen Welt existiert, zu informieren, führt uns wieder zurück zu den vermeintlich vertrauenswürdigen Quellen. Plötzlich ist sie wieder da: Die Tante eines entfernten Verwandten, die gehört hat, dass der Nachbar eines Schwagers seinen Blasenstein mit den Globuli seines Hausarzts geheilt hat.

Jeder hat diese Geschichten in seinem Freundeskreis – sie sind überall. Akupunktur hätte dies, Homöopathie hätte das – ganz wirklich hat mein Horoskop mir geholfen, ehrlich. Diese Diskussionen enden meist auf zwei Weisen – die Skeptiker dieser Praktiken nicken entweder höflich und wechseln schnell das Thema (aus verschiedenen Gründen ratsam) oder der Abend endet in einer hitzigen Debatte über “Intoleranz”, “engstirniger Weltsicht”, “Wissenschaftsfeindlichkeit” und “Dummheit” (Quiz für zwischendurch: Welches der vier Totschlagargumente ist wohl welcher Seite zuzuschreiben?).

Ginge es nach mir, so würden alle, die bei ernsthaften Krankheiten, gerade bei Kindern, ernsthaft homoöpathische Mittel gegenüber Arzneien mit wirklicher Wirkung empfehlen oder verschreiben, mindestens für unterlassene Hilfeleistung angezeigt. Gleich nach Impfgegnern und Leuten, die ihre Kinder zu sogenannten Masernparties schicken. Für mich ist Homoöpathie (ebenso z.B. wie Akupunktur) Scharlatanerie und es stört mich, wenn meine Regierung es gesetzlichen Krankenkassen vorschreibt, Zuzahlungen an Leute zu leisten, die vor 200 Jahren noch von Stadt zu Stadt zogen und so taten als wären ihre Elixiere Wunderheilmittel.

Was mich aber noch viel mehr stört ist der Glaubenskrieg, der regelmäßig, wenn das Thema mal wieder hochkocht, auf Seiten der Homöopathieverfechter und der -gegner geführt wird. Dank des Internets sind schnell ein paar Zeilen Halbwissen ins Blog getippt, auf der anderen Seite passiert das gleiche und schon innerhalb des ersten Absatzes wirds persönlich. Da schreibt Johnny bei Spreeblick einen mehr als schwammigen Artikel über Homoöpathie, vergisst dabei klar Stellung zu beziehen (ein großer Fehler, wenn man es mit überzeugten Gegnern zu tun hat) und schon wird jede Zeile zerpflückt als hätte Hitler gerade “Mein erneuter Kampf” veröffentlicht. Dabei hatte der Text, der sicher nicht zu Johnnys besten gehört, eigentlich einen ganz anderen Aufhänger, nämlich den, dass mit der aktuellen Debatte um Homöopathie von einigen anderen Problemen unseres Gesundheitssystems abgelenkt wird.

Diese Grabenkämpfe, die nicht nur völlig unnötig sondern auch kontraproduktiv sind, tragen leider dazu bei, dass die eigentlichen Spinner wie die vernünftigen Menschen dastehen. Ich bin davon überzeugt, dass es jedem Menschen freisteht sein Geld für jedes Wundermittel auszugeben, das er für richtig hält. Kauft er sich überteuerte Zuckerpillen oder lässt sich Nadeln ein paar Millimeter in seine Haut stechen in der Überzeugung diese Dinge bringen ihn voran? So sei es. Das ist genau so sein Recht, wie es meines ist, das nicht zu tun. Wir müssen ganz unbedingt die Schärfe aus der Debatte herausnehmen und uns darauf besinnen, dass Placebos eben auch von Pharmakonzernen verkauft werden, auf deren Präparaten keine “C30” Verdünnung steht.

Ich würde es gerne sehen, wenn die Zuzahlungen für moderne Schlangenöle jeder Art und Form aus den Katalogen von gesetzlichen Krankenkassen verschwinden. Ebenso würde ich mich freuen, wenn der Kampf um die Anerkennung von Quacksalberei aus den Parteiprogrammen der sog. großen Parteien verschwände. Nur werden diese Dinge alle nicht passieren, wenn alle Beteiligten wie ein aufgeregter Hühnerhaufen umherflattern sobald jemand “Jehova” sagt. Die Aufklärung war doch eigentlich schonmal eine ganz gute Idee – warum nicht einfach entsprechend weitermachen? Dann klappt das alles schon. Und den Rest regelt der Markt, nicht wahr Herr Westerwelle?

Übrigens betreiben die Mädels und Jungs von EsoWatch neben einem aufgeregten Blog auch noch ein gut gepflegtes Wiki. Ein guter Ausgangspunkt, sich selber zu informieren.


PS: Danke an Malte für die Überschrift.

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