Vorsorgeobduktion

“Willst Du noch kurz mit rauf kommen auf einen Kaffee?”
“Ich trinke keinen Kaffee.”
“Ich hab’ auch keinen da.”

Es gibt Situationen im Leben, die fordern einen heraus. Meist kommen sie plötzlich und unerwartet – oft jedoch wird einem schon vorher klar, dass alles, was man in den kommenden Minuten oder Stunden sagt, irgendwie irgendwo für irgendwas eine Bedeutung haben muss. So recht weiß man nicht, für wen genau und wie, aber eine Auswirkung wird es definitiv haben.

Je nach persönlicher Optimismusbilanz sieht man solche einschneidenden Momente als Chance oder als Bürde. Wie ich in den letzten paar Wochen lernen musste durfte, ist es durchaus möglich, dass diese Art von Chancen sich auch über längere Zeiträume strecken können. Und dann sitzt man Sonntags im dunklen Zimmer, hat die Flasche Rotwein zur Hälfte geleert und sinniert über dieses ganze blöde Chance/Bürde Gleichgewicht. Man fühlt sich furchtbar schlau, schwankt kurz zwischen Genie und Wahnsinn, entscheidet sich meist falsch und merkt schnell das Selbstüberschätzung einer realistischen Sich auf die Dinge nicht zuträglich ist.

Durch verschiedene Situationen in den letzten Monate, die für sich genommen vordergründig nichts miteinander zu tun haben, stieß ich mehr als einmal an die Grenzen meiner moralischen Einschätzungskapazität. Ich fühlte mich hilflos, suchte verzweifelt in meinen persönlichen Untiefen nach einer passenden Verhaltensweise. Meist wurde ich nicht fündig. Blöde Situation. Bisher war ich der Meinung über ein relativ stabiles Gerüst an Vorstellungen davon, was richtig und was falsch ist, zu verfügen.

Ein Beispiel: Ich versuche Menschen zu verstehen, bevor ich sie beurteile. Ich bin der Meinung, jeder hat eine Chance verdient und doch gebe ich sie nicht jedem. Ich habe Vorurteile und bin bei manchen Menschen zu ihren Ungunsten vorbelastet. Ich stelle fest, dass wenn ich jemanden sehe, der einen gewissen Kleidungsstil pflegt, neige ich dazu ihn/sie in eine stereotype Schublade zu stecken. Dies hat keinerlei direkte Auswirkungen auf unser beider Leben, da ich nicht dazu neige mit Menschen, die ich morgens in der Bahn treffe, Diskussionen zu führen. Trotz allem habe ich erst jetzt mal drüber nachgedacht – wie kann ich ernsthaft Toleranz einfordern, wenn ich selber nicht in der Lage bin in den einfachsten Situationen ein Mindestmaß solcher walten zu lassen? Ok, zugegeben würde wohl jeder, der ehrlich zu sich selbst ist, mir sagen, dass es ihm/ihr genauso geht, aber das war ja schon immer die schwächste aller Ausreden.

Anderes Beispiel: Ich war schon immer Pazifist. Ich habe Zivildienst aus Überzeugung gemacht und nicht, weil es die einfachere Möglichkeit war. Und ich habe es gerne gemacht. Soweit, so unspektakulär. Ich habe es den Grünen bis heute nicht völlig verziehen, dass sie damals für eine Beteiligung am Kosovo Krieg gestimmt haben. Und doch muss ich mir selber eingestehen, dass ich mit dieser Einstellung für einige Konflikte in der heutigen Welt keine Antwort finde. Afghanistan, Irak, Darfur – ich stehe ratlos vor diesen Kriegen und sehe keine friedliche Lösung. Egal was im einzelnen der Auslöser war (Danke George, Du Arsch!) sind die Situationen in diesen Ländern nunmal so und ich war noch nie ein großer Fan von “Hätte man aber besser machen können…”. Ich gehe lieber mit dem Status Quo um. Und vor dem muss ich momentan kapitulieren. Die Lösungen, die am schnellsten Hilfe versprechen bedeuten immer mehr Militär in diese Länder zu schicken, was bedeutet, dass mehr Menschen sterben werden – unweigerlich. Dies nicht zu tun, oder am Beispiel Afghanistan oder Irak Militär abzuziehen, würde aber ziemlich sicher den Tod von mehr Menschen bedeuten.

Sind diese Konflikte zu komplex, um sie in einfache Richtig-Falsch Maßstäbe zu pressen? Es gibt keine richtige Lösung für ein falsches Problem. In diesen Ländern herrscht schon Krieg und leider ist es wohl so, dass es zu spät für eine friedliche Lösung ist – aber irgendwie weigert sich etwas in mir, das zu akzeptieren.

Was will ich mit diesen zwei Beispielen zeigen?

In erster Linie, dass ich sowohl im Kleinen als auch im Großen gewissen Problemen und Situationen recht hilflos gegenüber stehe. Und Hilflosigkeit ist eins der schlimmsten Gefühle für mich. Wie eingangs erwähnt, finde ich es persönlich problematisch zu entdecken, dass ich in alltäglichen Situationen eine Ignoranz an den Tag lege, die ich sowohl abstreiten als auch verurteilen würde, spräche man mich darauf an. Und beschämend finde ich es, wenn ich zugeben muss, dass die Welt mittlerweile so kompliziert geworden ist, dass ich trotz friedliebender Grundeinstellung für die meisten großen Konflikte und Kriege keine Lösung außer Waffengewalt sehe.

Bin ich also ein schlechter Mensch? Oder schlimmer mindestens ebenso schlimm: Ein Ignorant? Ich hoffe nicht, doch selbst da bin ich mir nicht sicher. Ich spende eher selten für Hilfsorganisationen, ich bin nicht Mitglied bei attac oder ai, ich war noch nie in einer Suppenküche für Obdachlose kochen oder habe zu Weihnachten im Waisenhaus Geschenke vorbeigebracht. Ich habe für all dies auch mindestens eine Ausrede, aber das macht es nicht besser.

“The trick is to keep breathing…” sangen Garbage einst – aber reicht das?

With your feet in the air and your head on the ground
Try this trick and spin it, yeah
Your head will collapse
If there’s nothing in it
And you’ll ask yourself
Where is my mind…
– Pixies

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