Wieviel Globalisierung vertrage ich?

Ich habe neue Bettwäsche. Dies ist aus zweierlei Gründen komplett unspektakulär. Zunächst hat diese Bettwäsche, abgesehen von dem Fakt, dass sie mir persönlich relativ gut gefällt, absolut nichts Besonderes an sich. Und noch dazu interessiert es wohl niemanden wirklich, dass ich neue Bettwäsche habe. Und doch – meine Bettwäsche ist über die Grenzen meines Bettes hinaus zumindest nachdenkenswert – zumindest für mich; finde ich.

Sie stammt aus Turkmenistan. Dies entdeckte ich unlängst auf der dienstbeflissenen Suche nach Pflegehinweisen. Denn als guter Deutscher suche ich alles, was ich an stofflichen Dingen neu in meinen Haushalt aufnehme,  erstmal nach Pflegehinweisen ab, falls ich mal in die Verlegenheit komme, den Neuerwerb waschen zu müssen. Auf meiner Bettwäsche stand jedoch nicht das übliche "Made in China/Germany/Taiwan", was sonst ca. 95% aller Gebrauchswaren auf dem deutschen Markt auszeichnet (eigene empirische Studie – komplett repräsentativ). Nein, bei mir stand "Made in Turkmenistan".

Da ich, dem deutschen Schulsystem sei dank, Erdkunde in der zehnten Klasse abwählen musste (ja, musste!), hatte ich nur eine undeutliche Ahnung, wo meine Bettwäsche herkommt. Wer jetzt lacht, darf kurz überlegen, ob er die Antwort ohne Nachschlagen wüsste und kann sich dann schlau fühlen.

Das Wissen der Welt liegt in diesem WebZwanzig Gebilde glücklicherweise nur ein paar Mausklicks entfernt und so weiß ich nun, dass Turkmenistan am Kaspischen Meer liegt und von einigen Staaten eingerahmt wird, deren Namen mir schon eher was sagen: Afghanistan und Iran. Ich schlafe in Deutschland in Bettwäsche, die aus einem Land kommt, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft seit dem Dezember 2002 auch die deutsche Sicherheit verteidigt wird.

Wenn ich also vom gemeinen Turkmenen so wenig weiß, wie Roland Koch vom Linksliberalismus – ist es dann fair, in etwas zu schlafen, was eben jener von mir komplett ignorierte Turkmene mit seiner eigenen Hände Arbeit erschuf? Natürlich ist es das nicht – soweit habe ich Globalisierung mittlerweile verstanden, dass ich weiß, dass die ganze Chose mit Fairness wenig zu tun hat. Mir gehts dabei viel mehr um meinen persönlichen Moralhaushalt – mal wieder. Wäre ich mit deutscher Bettwäsche aus einer anständigen deutschen Bettwäschemanufaktur besser gefahren? Rein Karmamäßig. Oder beziehen anständige deutsche Bettwäschemanufakturen ihre Rohhstoffe ausbeutenderweise evtl. aus schafreichen Dritte-Welt-Ländern? Handele ich mir mit deutscher Bettwäsche somit womöglich einen moralischen Ringschluss ein?

Ach ich weiß doch auch nicht… muss ich immer jedem Bauern die Hand schütteln, der das Getreide für mein Brot groß pflegt? Ich will doch nur das Brot und nicht die Lebensgeschichte jedes Argrarökonomen, der daran beteiligt war. Ist das aber nicht genau die Art von Ignoranz, die im Kleinen anfängt, im Großen jedoch kulturelle Mariannengräben quasi hervorbringt? Bin ich Fair-Trade-kompatibel oder Fast-Food-Europäer? Sicherlich wird der turkmenische Produzent meiner Bettwäsche auf all diese Gedankensplitter keinen Pfifferling geben und würde mir vermutlich mit Nachdruck empfehlen doch auch für alle meine Freunde, die ihn ebenfalls nicht kennen, eine Garnitur zu kaufen.

Und vermutlich würde ich das dann als braver Tourist auch tun. Win-Win Situation; klassisch. Immerhin wüßte ich jetzt dann auch genug über sein Land, um mir nicht wie eine isolierte Konsum-Maus vorzukommen – klappt auch nicht immer.

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