Filmindustrie möchte nichts beweisen müssen

Vergleicht man die Errungenschaften unserer Demokratien – und ich schreibe im Plural, denn obwohl die Ausprägungen unterschiedlich sind, sind die fundamentalen Grundsätze, warum die westlichen Gesellschaften sich irgendwann mal dachten, Demokratie wäre eine feine Sache, ja doch irgendwie gleich – vergleicht man nun diese Errungenschaften mit dem Lauf der Sonne, so kann man wohl festhalten, dass wir uns mittlerweile weit nach vier Uhr nachmittags befinden und die Sonne unserer Freiheiten stetig der Dämmerung zustrebt.

Es ist, als hätten wir den Höhepunkt an Rechten und individuellen Freiheiten irgendwann in den 90ern erreicht und wollen jetzt nochmal schauen, wie es so ist, wenn all diese Bürgerrechte nicht mehr existent sind. Wie ein waidwundes Tier streben gerade alle demokratischen Länder nach dem kleinstmöglichen Freiraum für ihre Bürger, sei es aus Angst vor Terroristen, aus blindem Gehorsam gegenüber Industrielobbyisten oder aus persönlichen Motiven, die man dann sowieso nicht mehr versteht.

Selbst Schweden, bisher eher für liberale Gesetzsprechung vor allem in Sachen "freie Verbreitung von Medieninhalten" gelobt, hat am 17.6. ein Gesetz verabschiedet, dass es dem Staat erlaubt, sämtlichen Traffic auf Internetverbindungen von und nach Schweden abzuhören und zu speichern. Und weil man gerade dabei war, macht man die Telefonleitungen gleich mit.

Den Vogel eindeutig abgeschossen – zumindest für mich – hat nun aber die undurchsichtige Vereinigung von Musik- und Filmindustrie in Amerika. Undurchsichtig daher, weil ich nie richtig begriffen habe, wer da eigentlich mit wem und womit und überhaupt – nennen wir sie einfach RIAAMPAA. Diese Lobbyvereinigung blutsaugender Zweitwertschöpfer, deren Hauptanliegen es zu sein scheint, Verbraucher vor Gericht zu zerren und die vermeintlich entgangenen Einnahmen durch die Myriarden Raubkopien auf dem Rücken des amerikanischen Justizsystems reinzuholen; diese grundsympathischen Vereinigungen jedenfalls, haben es fertig gebracht, folgendes in einem Brief zu formulieren, der dem Richter eines in den USA anhängigen Verfahrens erreichte:

It is often very difficult, and in some cases, impossible, to provide such direct proof when confronting modern forms of copyright infringement, whether over P2P networks or otherwise; understandably, copyright infringers typically do not keep records of infringement[…]

Quelle: wired.com

Was sich zunächst liest, wie das langerwartete Eingeständnis, dass es unmöglich ist, Copyright-Verletzungen justiziabel nachzuweisen – im Kopf jedes klar denkenden Menschen also die Voraussetzung für solche Prozesse – ist für die freundlichen Herren von der Millionenindustrie nebenan, Basis für so manch abenteuerliche Rechtskonstruktion. Fortgeführt wird die "Argumentation" wie folgt:

Mandating such proof could thus have the pernicious effect of depriving copyright owners of a practical remedy against massive copyright infringement in many instances[…]

Quelle: wired.com

Nur nebenbei erwähnen könnte man hier, dass es sich in dem betreffenden Prozess um die massivste Urheberrechtsverletzung seit Menschengedenken letzten Montag handelt – ganze 24 Lieder habe die Angeklagte in ihrem Kazaa Account voll krimineller Energie zum Tausch angeboten. Neben der Überraschung, dass es tatsächlich noch Kazaa Nutzer gibt, war ich am meisten von der Forderung der Musikindustrie erstaunt, auf Grundlage der oben angeführten Hammerargumente, die betreffende Frau zu einem Pauschalbetrag von $150.000 pro Song (lachhafte $3,6 Mio.) zu verurteilen.

Und da man gerade so schön dabei ist, wäre es doch eigentlich an der Zeit, diese ganze lästige Beweisführung allgemein abzuschaffen, so dass die Unterhaltungsindustrie in den USA künftig auf Verdacht Bürger eines freien Rechtsstaates vor Gericht zitieren kann und ihnen Pauschalstrafen von 150.000 Dollar pro vermuteten Copyright-Bruchs aufbrummen kann. Und wer das nicht fair findet und unterstützt, stärkt die Terroristen.

Ok, den letzten Satz hab ich dazu gedichtet, aber der Rest stimmt. Dies ist in der Tat die Forderung, die momentan da auf dem Tisch liegt. Abschaffung der Beweispflicht, weil der Musikindustrie die Beweisführung, dass jemand die Verletzungen, derer er beschuldigt wird, wirklich begangen hat, zu mühselig bzw. aufwändig erscheint. Nachzulesen entweder in dem bereits zitierten wired.com Artikel oder am besten gleich in dem offiziellen Brief des Anwalts der RIAAMPAA (Vorsicht – PDF Datei!).

Hey Musikindustrie, ist bei Euch eigentlich da oben nun alles vollständig zusammengebrochen? Eine der fundamentalen Grundlagen moderner Rechtsstaatlichkeit, die Unschuldsvermutung, abschaffen, nur damit ihr leichter an das Geld kommt, das ihr verpennt habt, auf ehrliche Weise zu verdienen? Ihr könnt mich mal! Dieses Bestreben gabs früher schonmal – nannte sich damals Inquisition und war historisch gesehen eher so mittelgut. Wenn Ihr Euch also wirklich mittelalterliche Methoden zum Vorbild nehmen wollt, dann wäre ich dafür auch die Prügelstrafe und den Pranger für erfolglose Hofnarren (und nichts weiter sind die von Euch "vertretenen" Volksbespaßer) und ihre "Agenten" wieder einzuführen – quid pro quo.

Oder Ihr feuert endlich mal alle Eure Anwälte, die solchen Blödsinn in Eurem Namen verzapfen und fangt an, diese neue Welt, die Euch solche Angst macht, zu begreifen. Vielleicht können wir ja dann gemeinsam mit Methoden des 21. Jahrhunderts versuchen, eine Lösung zu finden. Zur Not fragt mal die Katholische Kirche, wie das so ausging mit der Inquisition in Sachen Image und Vertrauensaufbau.

Bis dahin könnt Ihr Euch in meinen Augen mal gehackt legen.

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