GAU

Ein Klick und es ist dunkel. Ich schrecke hoch. Die Musik ist aus, die Lampen sind dunkel, ich höre den Kühlschrank in der Küche unruhig glucksen. Ist wahrscheinlich mindestens genauso besorgt wie ich gerade, der Ärmste. Der zunächst aufkommenden Vermutung, dass es die Sicherung zerlegt hat, gibt ein Blick aus dem Fenster keine Nahrung. Die Strasse ist dunkel. Stromausfall.

Ruhig bleiben, denke ich bei mir. Was soll schon sein? Passiert ab und an mal, dauert nie lange. Wird schon. Ein hektischer Blick auf die Akku-Lade-Anzeige des Laptops zeigt, dass mir noch 2,5 Stunden bleiben, bis auch dieses Stückchen Restenergie aus meiner Wohnung verflogen ist. Was soll ich tun? Es aufsparen für später? Was ist, wenn der Stromausfall doch länger dauert? Nur was will ich dann mit meinem Laptop?

Erstaunlich, wie schnell man beginnt, sich existenzielle Fragen in Extremsituationen zu stellen. Vor 15 Minuten war mein Laptop noch so ungefähr das Erste, was ich im Falle einer Blitzevakuierung gegriffen hätte. Noch vor Wechselunterwäsche. Und nun frage ich mich, was mir 2,5 Stunden Akkulaufzeit bringen würden im Überlebenskampf. Ich meine, so ohne WLan…

Immerhin weiß ich jetzt, wie das früher gewesen sein muss. Also nicht ganz früher. Bisschen später. Eben als es keine konstante Stromversorgung gab, was weiß ich denn wann das war. Ich habe auch gerade andere Sorgen. Wärme zum Beispiel. Immerhin sind draußen Minusgrade und sooo toll isoliert sind diese Altbauten auch nicht. Hat man nun davon. Hip und trendy will man sein und dann erfriert man im Winter in der eigenen Wohnung. Von wegen sanierter Altbau, EBK, Laminat und vollgefliesstes Bad… "Todesfalle" hätte in der Anzeige stehen sollen. Aber ist jetzt auch zu spät.

Habe mich inzwischen entschlossen den Laptop-Akku aufzusparen. Es ist immerhin nicht unwahrscheinlich, dass mir die 2,5 Stunden Energie, die darin gespeichert sind, in der postnuklearen Welt, in der ich mich ab sofort zurechtfinden muss, eine gewisse Vormachtstellung unter meinen Mitüberlebenden sichern. Also sparen. In der Wohnung über mir flucht jemand. Wahrscheinlich war sein Akku gerade alle.

Während ich mich gedanklich auf das Leben in einer entmenschten, apokalyptischen Welt einstelle, stolpere ich zum Kühlschrank, um mich dem Vorhandensein von ausreichend Nahrung zu vergewissern. Ich entscheide schnell, dass vier Eier und ein abgelaufener Joghurt nicht ausreichen werden. Die sechs Scheiben Knäckebrot, die im Vorratsfach über dem Kühlschrank mittlerweile auch schon zu lange darauf warten, gegessen zu werden, machen das letzte Abendmahl auch nicht runder. Spüre wieder Verzweiflung aufsteigen. Was wird wohl schneller gehen? Erfrieren oder verhungern? Ich kann die Zeit, die seit dem Eintreten des Stromausfalls vergangen ist, mittlerweile schon nicht mehr richtig einschätzen, tippe aber auf mehrere Stunden. Meinem eiskalten Zimmer zufolge könnten es auch gut Tage sein.

Während ich mich in meinem Zimmer umschaue, überlege ich aus der alten Postertransportröhre, die an der Wand lehnt, eine Kartoffelkanone zu basteln. Ich brauche etwas, um mich gegen die sicher bald eintreffenden plündernden Horden zu verteidigen. Lange kann ich damit den wütenden Mob zwar nicht abhalten, aber lieber so sterben als auf dem nackten Laminatboden erfrieren.

Ich fange gerade an, mit meinem Taschenmesser meine Schreibtischbeine zu Speeren anzuspitzen, da flackert die erste Lampe und das Radio beginnt wie gewohnt seinen Dienst zu verrichten. Der Kühlschrank blubbert erleichtert wieder los und ich weiß wie er sich fühlt. So ganz knapp dem sicheren Tod entronnen zu sein, ist ein komisches Gefühl. Laut meinem Radiowecker waren dies gerade die längsten zehn Minuten meines Lebens.

Man macht aber auch was mit…

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