Zukünftig

Ab und an, wenn ich in dieser absurden Parallelwelt namens “echtes Leben” mit Leuten rede, dann schauen diese mich ganz verschwörerisch an und raunen, wie enttäuscht sie doch von diesem ganzen 2000er Quatsch wären. Erst kam das Jahr 2000 an sich; immerhin seit Jahrzehnten die Leitzahl für alles, was Science Fiction hieß und nachdem diese Barriere überwunden war, leben wir nun im Jahr 2010 und haben immer noch keine fliegenden Autos und eine einfache Erkältung wirft weiterhin die stärksten Männer um.

Meist blinzele ich diese Menschen dann verständnislos an, schalte den iPod aus und muß nochmal nachfragen, weil ich gerade durch den neuesten Podcast abgelenkt war, den ich am Morgen noch schnell runtergeladen hatte. Bzw. eigentlich war das gar nicht ich, sondern mein Computer, der die neuesten Episoden nicht nur automatisch herunterlädt, sondern auch noch auf ein Gerät synchronisiert, mit dem ich 80GB Entertainment mit mir rumtragen kann (und damit schon wieder eine Generation hinterherhinke). Ich selber chatte währenddessen drahtlos von meinem Telefon aus mit Menschen, die um die Zeit gerade in den USA spät ins Bett gehen.

Nach dem Aufstehen kann ich mir, wiederrum von meinem Telefon aus, Empfehlungen für Konzerte oder Kinoprogramme am gleichen Abend abrufen, während ich dank meines Festplattenrecorders zeitversetzt die Nachrichten anschauen kann, die ich leider verschlafen habe. In der S-Bahn höre ich dann die bereits erwähnten Podcasts, während ich mit meinem eBook Reader die ebenfalls drahtlos synchronisierte Tageszeitung lese. Nebenbei twittere ich meine aktuelle Laune, damit die Menschen, mit denen ich mich im Verlauf des Tages treffen werde, gleich wissen, woran sie sind.

Mir steht auf dem Weg durch die Stadt ein breites Angebot an Essen zur Verfügung, das nicht länger als 2 Minuten braucht, bis es mir verzehrfertig überreicht wird und es gibt in immer mehr Städten Fahrräder, die ich mir via Telefon ausleihen kann. In fast allen Bars gibt es WLan, in den Krankenhäusern stehen Geräte, die in der Lage sind, Diagnosen zu unterstützen, die genauer sind als alles bisher dagewesene und die öffentlichen Verkehrsmittel befördern täglich soviele Menschen, wie zur Zeit der Völkerwanderung unterwegs waren (völlig ungeprüfte Behauptung – wehe ich krieg’ böse Geschichtslehrerkommentare).

Ich verdiene mein Geld mit Arbeit, die noch vor 15 Jahren unnötig war und beschäftige mich mit Problemen, von denen vor 20 Jahren noch nie irgendjemand gehört hat. Meine Kaffeemaschine weiß, wie ich meinen Kaffee mag, mein Kühlschrank weiß, wann er Milch für mich nachbestellen muß, ich kann quasi überall mit einer Plastikkarte bezahlen und das Wissen der Welt ist ein paar Tastendrücke entfernt. Mein Fernseher lernt durch meine Sehgewohnheiten meien Vorlieben kennen und zeichnet mir meine Lieblingsshows automatisch auf. Flugzeuge und Autos sind schneller und dabei sicherer als je zuvor und es ist in vielen Bereichen selbstverständlich, dass man Projekte mit Leuten abspricht, die um die halbe Welt verteilt sind.

Während ich dann über all diese Dinge nachdenke, sind meine Gesprächspartner meist schon entnervt weggegangen, weil sie mich ja eigentlich fragen wollten, ob ich mal ihren Drucker einrichten kann oder warum ihr Firefox in letzter Zeit so langsam geworden ist. Aber das höre ich dann meist nicht, weil ich überlege, warum ich eigentlich noch keinen dieser Toaster habe, die einem das aktuelle Wetter ins Weißbrot brennen.

Aber stimmt schon… diese Scheiß Zukunft kommt auch nie. Nur diejenigen, die beim Lesen dieses Textes nicht einmal dachten “Wie? DAS geht?”, können wohl nachempfinden, warum ich solche Unterhaltungen nicht gerne führe. Das ist alles so wahnsinnig und abgefahren da draußen – wer braucht da bitteschön fliegende Autos? Und Erkältungen sind doch auch nur in den ersten sieben Tagen so richtig schlimm. Danach hält mans doch aus.

Ach und… an diejenigen, die diesen Text gelesen haben und bei den Stellen mit der S-Bahn und den Millionen täglichen Fahrgästen zweimal entnervt aufgelacht haben: Ich weiß wo Ihr wohnt!

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