Endlich WM Fußball – Die ersten Viertelfinals

Sieht man es positiv, dann ist genau eine meiner zuletzt geäußerten Prognosen eingetroffen: Die, dass wahrscheinlich alle meine zuletzt geäußerten Prognosen sich nach den Viertelfinals als falsch herausstellen würden. Sieht man es negativ, dann muss man heute wohl festhalten, dass ich als Tippgeber für Fußballspiele in etwa soviel tauge wie Reinhold Beckmann als Moderator eben dieser (kein Text ohne Beckmann-Seitenhieb).

Brasilien : Niederlande – 1:2

Was für ein Spiel. Noch nie war ich so froh, mich bei der Einschätzung einer Mannschaft so gründlich vertan zu haben, wie heute bei den Niederländern. Nachdem diese ähnlich schlafmützig begannen wie in der kompletten Vorrunde, wurde in diesem Spiel spätestens ab der 46. Minute endlich mal richtig Fußball gespielt.

Das 1:0 für Brasilien durch Robinho in der 10. Minute ließ mich eigentlich vermuten, dass auch in diesem Spiel Brasilien seinen erfolgreichen Stil weiter durchziehen würde: Hinten dicht und vorne gut. Der Pass von Melo durch die gesamte Hintermannschaft der Niederlande war ein Lehrstück in Sachen Spielübersicht aus dem Mittelfeld. Dazu ein grandioser Abschluss und Brasilien hatte das Spiel im Griff. Kakas Kunstschuss in der 31. Minute war ebenso zum Zunge-Schnalzen wie die Parade, mit der Stekelenburg ihn in höchster Not über das Tor beförderte.

Bei den Niederländern ging noch nicht viel zusammen, Robben zog immer mindestens zwei Verteidiger auf sich und konnte seinen linken Fuß nicht recht hinter den Ball bringen. Van Bommel war zwar irgendwie da, wußte aber nicht so wirklich etwas mit sich anzufangen und Snejder verhaspelte sich ein ums andere mal an der eigenen Brillanz.

Man wird wohl viel munkeln, was genau in der Halbzeit in den Kabinen der beiden Teams passiert ist (vermutlich wird man das nicht, aber es passte als Überleitung also pssst jetzt). Die ersten Minuten der zweiten Halbzeit sahen eine niederländische Mannschaft, die plötzlich begriffen zu haben schien, dass dieses Fußballdings ihnen doch eigentlich liegt und sie mal ganz gut darin waren. Gleichzeitig waren die Brasilianer nicht mehr mit ihrem eigenen System einverstanden. Sie waren zwar vorne immer noch gut, hinten jedoch nicht mehr so dicht.

Wäre da doch mal früher jemand drauf gekommen: Gegenwehr. Das war Brasiliens Schwäche. In der 53. Minute ließ die komplette brasilianische Hintermannschaft Zuordnung Zuordnung sein und Melo verlängert einen Freistoß von Snejder ins eigene Tor: 1:1. Da standen sie dann da, denn das war ihnen so noch nicht passiert bei dieser WM. Ein Ausgleichstreffer – absurde Vorstellung. Und tatsächlich zerbrach das vorher so effektive System Brasiliens an der erfolgreichen Gegenwehr der Niederländer.

Die Zweikämpfe wurden zwar begonnen, aber nicht mehr erfolgreich zu Ende geführt. Auf einmal war immer ein niederländisches Bein in der Nähe, die Kombinationen waren nicht mehr furchteinflößend – Brasilien war geschockt. Und dann stand da Snejder. Irgendwie nahm ihn keiner so recht ernst als er in der 68. Minute, umringt von drei Verteidigern, einen verlängerten Eckball auf den Kopf bekam. Und doch ging es ganz schnell. Den Ball, von Kujts Kopf kommend, brauchte er nur leicht in Richtung Tor zu nicken: 2:1 Niederlande.

Die wenigen Chancen, die man den Brasilianern zu diesem Zeitpunkt noch zugestand, wurden in 73. Minute dann endgültig zunichte gemacht als Melo wegen Nachtretens zu Recht die Rote Karte sah – Brasilien nur noch zu zehnt und die Niederlande in der Schlußphase mit dem Glück des Tüchtigen: Das konnte nur schief gehen und das ging es auch. Brasilien unter Dunga scheidet aus dieser WM aus und ich bin mir sicher, dass Dunga diesen Posten nicht mehr lange inne haben wird – zu groß war die Kritik an seinem System bereits vorher. Schade drum, mir hat Brasilien gefallen bei dieser WM, eben ob des ungewöhnlichen Fußballs für eine brasilianische Mannschaft.

Prognose Niederlande (jaja, ich weiß): Mit einer ähnlichen Leistung schlagen sie Uruguay. Also Finale.

Uruguay : Ghana – 4:2 (n.E.)

Machen wir es kurz – das Spiel war über 90 Minuten nicht nur vom Ergebnis her ausgeglichen. Uruguay dominierte die ersten 30 Minuten und hatte etliche Chancen zum Führungstreffer. Warum sie diese nicht nutzten wissen alleine Forlan und Suarez. Die beliebte Sportfloskel „aus dem Nichts“ wird gerne verwendet, wenn man nicht so recht beschreiben kann, warum etwas passiert und so fiel denn auch das 1:0 für Ghana in der 45. Minute „aus dem Nichts“. Zwar hatte Ghana zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Chancen auf der Haben-Seite, aber ihr Spiel erinnerte nicht im Geringsten an die kämpferischen Leistungen der Partien zuvor.

Nach dem Wechsel dauerte es nur zehn Minuten bis Forlan eine seiner vielen Chancen dann doch nutzte und in der 55. Minute per Freistoß den Ausgleich erzielte. Zu sagen, dass ab diesem Zeitpunkt zwei Mannschaften gegeneinander spielten, die sich in Sachen Kampfgeist, Siegeswillen und Spielwitz nicht viel nahmen, wäre leicht übertrieben aber nicht falsch. Es war ein offenes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten aber ohne zählbaren Erfolg. Nach 93 Minuten ging es in die Verlängerung, die nochmals 30 Minuten das selbe Schauspiel zeigte – nur langsamer.

Dann kam die 121. Minute. Unter dem Druck von Ghanas Sturmreihe, entschied sich Suarez denkbar ungünstig zu einem Handspiel auf der Linie des eigenen Tores. Rote Karte und Elfmeter für Ghana – ein Alptraum für Suarez, denn in seinen und den Augen wohl aller Zuschauer hatte er gerade Uruguay die WM gekostet. Doch Gyan konnte so viel Leid nicht ertragen, hatte Mitleid mit Suarez und schoss den alles entscheidenden Elfmeter gegen die Latte. Ein Pfiff und die Verlängerung war vorbei. Was für ein Moment. Wie leer man sich in so einem Moment als Fußballer fühlt, konnte man in Gyans Gesicht ablesen. Er war wohl in diesen Sekunden so alleine wie noch nie zuvor – obwohl Kevin-Prince Boateng versuchte, Aufbauarbeit in Form einer gewagten Hüpf-Tanz-Einlage um ihn herum zu leisten.

Welch bitteren Sinn für Ironie und den gespielten Witz Milovan Rajevac, der Trainer Ghanas, hat, konnte man dann im folgenden Elfmeterschießen sehen. Er ließ Gyan als ersten Schützen Ghanas antreten. In welcher verdrehten Trainerpsychologieschule diese Taktik gelehrt wird, wüsste ich nur zu gerne. Doch Gyan bewies, wohl in erste Linie sich selbst, dass er Elfmeter auch verwandeln kann – im Gegensatz zu Mensah und Muslera, die beide vergaben und Uruguay so das Halbfinale ermöglichten.

Prognose Uruguay: Mit einer Verlängerung und dem nervenaufreibendem Schluss in den Knochen ist gegen die Niederlande im Halbfinale Schluss.

Was für ein Krimi diese letzten Minuten waren. Genau dieses Gefühl hat mir bisher immer gefehlt bei dieser WM. Diese Momente, von denen man am nächsten Tag begeistert erzählt. Die Szenen, die für immer auf YouTube stehen werden und unzählige Flamewars nach sich ziehen werden. Das waren sie. Bitte mehr davon.

Morgen steht um 16 Uhr wieder die Nation still – Deutschland gegen Argentinien. Da war doch mal was. Ich hoffe, der Zettel für Manuel Neuer ist schon geschrieben.

Bis morgen Abend.

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