Der lange Weg zu 4GB

Jäger
Creative Commons License photo credit: jeanmartin

„Lass uns fotografieren gehen.“. Vier einfache Worte, die nur ein paar Stunden später dafür sorgen sollten, dass mein bisher unerschütterlicher Glaube an die Segnungen der westlichen Überflussgesellschaft gehörig in Frage gestellt werden sollte.

In der Hoffnung das gute Abendlicht für ein paar wohlausgeleuchtete Ruinenbilder auszunutzen, fuhren wir zur alten NSA Abhörstation auf dem Teufelsberg. Nicht das originellste Motiv und bereits hundertfach auf alle möglichen Formen von Film gebannt, aber was soll’s. Wer schon einmal auf dem Gelände im Westen von Berlin war, der weiß, dass der Zugang einiges an Phantasie erfordert, da der Zaun und die deutlich angebrachten „Zugang verboten“ Schilder rund um das Privatgelände eben diesen eigentlich verhindern sollen.

Nehmen wir, aus rechtlichen Gründen, einmal an, dass wir diese Schilder gelangweilt ignorierten. Und nehmen wir weiterhin an, dass uns nach ca. 45 Minuten der überraschend doch anwesende Sicherheitsdienst zur Rede stellte, was wir denn auf dem Privatgelände zu suchen hätten. In diesem Fall hätten wir diese Frage wohl durch wortloses Deuten auf die schussfertigen Kameras quittiert und wären anschließend vor die Wahl einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch oder Herausgabe der Speicherkarten gestellt worden. Kleine Erpressungen unter Freunden…

Diesen Annahmen, denen in der kommenden Woche die Auslösung der Speicherkarten gegen 30€ Kaffeekassen-Zuschuss Bearbeitungsgebühr folgen wird, beendeten alle weiteren Fotopläne des Abends zunächst recht abrupt. Doch halt. Wir waren hier schließlich in Berlin. Weltstadt, Metropole und immer wach. Da musste es doch möglich sein, um zehn Uhr abends einen Laden zu finden, der notleidenden jungen Menschen eine SD-Karte verkaufen würde.

Nicht ohne Grund war doch das Ladenschlußgesetz, seit jeher Geißel aller nachtaktiven Menschen, schon seit Jahren reformiert. Und hey, wir waren hier in der Stadt, in der die Bekloppten und Bescheuerten zu Hause sind, die zur Eröffnung eines Media Markts die Öffnung der Berliner Mauer nachspielen – wohlgemerkt ebenfalls mitten in der Nacht. Wir fassten wieder neuen Mut und begannen mit der Suche.

Was folgte war eine Stunde voller Kapitalismusernüchterung, die herbe Dellen in den Glauben an den freien Markt in unseren jungliberalen Herzen schlug*. Nicht ein Elektronikfachmarkt, nicht ein Fotofachgeschäft hatten mehr geöffnet und auch Kaiser’s führte keine SD-Karten – dafür gabs Kasserollen für nur 200 Treueherzchen plus 50€ Zuzahlung; aber was sollten wir damit mitten in der Nacht? Sollte es tatsächlich unmöglich sein, in der Großstadt Berlin, zu zugegebenermaßen ungewöhnlicher Stunde, etwas so alltägliches wie eine SD-Karte zu erstehen?

Als auch die Auskunft keinen weiteren Rat wußte (ja, die haben wir tatsächlich angerufen) und der von dieser vermittelte 24h-Copyshop sich als Sackgasse erwies („SD-was?“), blieben als letzte Hoffnung die mehr oder weniger gut sortierten Spätverkäufe Berlins. Diese Bastion des spätabendlichen Bierbezugs begegnete unserer Herausforderung mit einer Mischung aus ungläubigen Blicken, mitleidigem Grinsen und geschäftstüchtigem Anbieten von 24er Kodakfilmen, die leider nicht in unsere digitalen Boliden passten – kein Geschäft zu machen.

Kurz vor der Aufgabe stehend, versuchten wir unser Glück ein letztes Mal in einer dieser Mischungen aus Bäcker, Späti und Kneipe, die in den letzten Jahren teilweise die reinen Spätverkäufe abgelöst haben. Mit wenig Hoffnung, dass sich zwischen den 2,50€-Weinen, Sternburg-Sixpacks und den Zimtschnecken eine SD-Karte verstecken würde, trug ich mein Begehr vor. Doch zu meiner großen Überraschung reagierte der junge Mann hinter der Backwarenauslage nicht mit der erwarteten mitleidigen Absage. Im Gegenteil: Nach kurzer Pause, in der es sichtlich hinter seinen Augen arbeitete, verwies er mich an einen anderen, nicht mehr ganz so jungen Mann, der es sich gerade mit einem Bier gemütlich gemacht hatte.

Er stellte sich als der Inhaber des „An- und Verkaufs“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite heraus und war bereit seinen Laden für uns noch einmal aufzuschließen. Das Ergebnis überraschte uns wohl ebenso wie alle von uns bis dahin befragten Ladenbesitzer, denn zu diesem Zeitpunkt war schon längst der Weg das Ziel. Wir rechneten mittlerweile mit allem aber nicht damit, dass wir die Suche tatsächlich noch mit einer SD-Karte in der Hand abschließen würden. Jedoch:

Dass die Fotos, die ich in dieser Nacht anschließend noch schoss, fast alle nicht zu gebrauchen sind, ist eigentlich egal. Schließlich weiß ich jetzt an wen ich mich wenden muss, wenn ich mal mitten in der Nacht 4m Kupferdraht, drei Sicherungen und Zelda 2 für den GameBoy-Color brauche – hatte der gute Mann nämlich auch alles rumliegen. Und wer weiß, wenn ich ganz nett in der Bäckerei gegenüber frage, macht er vielleicht wieder elf Uhr nachts für mich auf.

*nicht wirklich